Halbe Kraft voraus

Nicht ganz von gestern. Kubas Hauptstadt ist Schrittmacher des Wandels

Hoch die Faust! An einem rustikalen Zweigeschosser am Beginn des Malecóns, der berühmten Uferstraße in Havanna, begrüßt den Spaziergänger die rote Fahne mit Hammer und Sichel. Im warmen Wind, der von der See herüberweht, flattert frisch und weit sichtbar das Tuch des großen Mutterlands der Werktätigen. Wird hier den abgeblätterten Losungen an den Mauern ein weiteres Bekenntnis hinzugefügt, dass die kommunistischen Ideale im kleinen Kuba fortleben? Tranquilo. Marx, Engels, Lenin, dazu noch ein paar Zaren, sagen hier einfach mal »Sa sdorowje«. Auch wenn sich das kleine Restaurant im Retro-Schick nach Sowjetart, das so Flagge zeigt, »Nazdarovie« nennt. Es gibt das Übliche: Bohnen, Reis und Huhn – die Dreieinigkeit hier allerdings nach russischer Manier. Aber auch feinen Kaviar oder Blinis. Zum Runterspülen kann man vom Rum zum Wodka wechseln. Die Rechnung wird, wie bei allem, was von der Norm nach oben abweicht, in Touristendollar, dem konvertiblen Peso (CUC), beglichen. Retro wirkt so einiges in Kubas Hauptstadt, ist aber weitgehend orginal – die alten Bodegas für Waren des Grundbedarfs etwa und natürlich der Fahrzeugpark mit betagten sowjetischen Ladas und den vielen Amischlitten aus dem Nachlass der revolutionsbedingt nach 1959 getürmten Oberschichten. Der museale Charme einer Melange aus kolonialer Pracht, sozialistischem Aufbau und Verfall zieht stets neue Jetzt-aber-noch-schnell-Touristen an. Ihre Schwärme und der Alltag der Einheimischen schaffen einen unwirklichen Kontrast. Allein aus Deutschland kamen im vergangenen ein Viertel mehr Besucher als im Jahr davor, ihre Gesamtzahl hat einen Rekordstand erreicht. Mit den Shakehands zwischen Kubas Staatschef Raúl Castro und US-Präsident Barack Obama wurde der Anreiz verstärkt. Uncle Sam möchte nun auf Filzlatschen und mit dem Greenback im Gepäck in Havanna einrücken.

Doch noch hat er die Ufermauer der malerischen Straße nicht erreicht, die sich mit großen Bögen an der Bahia de La Habana, der Bucht, entlangzieht. Von der Hafeneinfahrt an der Altstadt bis hinaus zur Mündung des Flusses Alemendares im schicken und moderneren Viertel Vedado. Vorbei an »La Rampa«, dem Beginn der 23. Straße mit ihren Jazzklubs, Kinos und Bürogebäuden, vorbei am Taganana-Hügel, auf dem das luxuriöse, vor der Revolution Mafia-beherrschte Hotel Nacional thront, vorbei an der nach 54 Jahren wieder zur Botschaft hochgestuften Vertretung der Vereinigten Staaten, vorbei am Stadion mit baufällig anmutender Tribüne, auch am großartigen Kulturinstitut Casa de las Américas und schließlich Hotelhochhäusern mit Meerblick. Nichts zu sehen von Starbucks und McDonalds. Auch die Zahl der US-Touristen hält sich weiter in Grenzen. Das Embargo wirkt, trotz einiger Lockerungen, fort. Dafür gibt es, wie jetzt vielerorts in Kuba, hier und dort ein neues Geschäft, eine neue Bar. Private Inhaber haben wohl häufig noch jemanden im Hintergrund. Das Kapital für eine solche Existenzgründung können nur wenige (legal) aufbringen.

Das Flair des Malecóns und die Brise – wegen der vielen alten Motoren ist Havanna kein Luftkurort – wirken anziehend, Menschen, meist Pärchen oder kleine Gruppen, sitzen überall auf der Uferbefestigung. Musik ist zu hören, die Rumflasche kreist, Touristen tragen ihre Che-T-Shirts spazieren. Irgendwo da draußen, im Norden, ist der Feind, das Paradies. In der Nacht ist das Wasser der Bucht, die wegen ihrer kulturhistorischen und archäologischen Schätze unter Schutz gestellt wurde, pechschwarz. Schon bei deren Gründung 1519 als Villa de San Cristóbal de La Habana beschirmte sie die Stadt. Jetzt träumen Kubaner hier von etwas mehr Normalität, davon, dass ein paar Dinge funktionieren. Davon, dass man von seinem Lohn tatsächlich leben kann. Und viele davon, dass es etwas gerechter zugeht und die Doppelwährung bald verschwindet, wie es ihr Präsident versprochen hat. Die Reformen brauchen ihre Zeit, Versuch und Irrtum eingeschlossen. Doch Politik beiseite. Lassen wir uns besser den Prado-Boulevard entlangtreiben, bis hinauf zum Capitólio, dessen Restaurierung schon länger andauert. Bewegen wir uns langsam, anmutig und würdevoll. Denn das hier ist Kuba.


Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Peter Steiniger
Junge Welt, 10.02.2016