Thüringer putzt Havanna heraus

Marcel Diegmann restauriert Kapitol und Kathedrale in Kubas Hauptstadt.

Mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel kommt ein Tross deutscher Unternehmer nach Havanna. Marcel Diegmann aus Thüringen ist derweil schon da und verpasst dem Kapitol in Havanna ein neues Gesicht.

Michael Diegmann

Gefragter Mann in Kuba: Michael Diegmann obliegt nach der Restauration des Kapitols nun auch die der Kathedrale.

Es mag Zufall sein, dass derzeit sowohl das Washingtoner Kapitol als auch das Kapitol in Havanna restauriert werden - Sinnbild für den Neubeginn der Beziehungen zwischen den USA und Kuba ist es in jedem Fall. Daran, dass das Kapitol im Herzen der kubanischen Hauptstadt bald in neuem Glanz erstrahlt, hat ein deutscher Unternehmer entscheidenden Anteil: Michael Diegmann. Der 42-Jährige aus Küllstedt im thüringischen Landkreis Eichsfeld wirkt keineswegs wie ein typischer Manager. Den Anzug hat der frühere Bankkaufmann gegen die Handwerkerkluft aus grauer Malerhoser und azurblauem Polohemd getauscht. Darin eingestickt das Firmenlogo: MD-Projektmanagement. Diegmann steht selbst von morgens bis abends auf der Baustelle. »Ich war ja auch mal Schreibtischtäter«, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. »Dass man mitarbeitet, kommt bei den Leuten hier gut an.«

Kapitol Havanna

Erstrahlt mit Thüringer Hilfe in neuem Glanz:
Kapitol in Havanna Fotos: Andreas Knobloch

Nicht nur das Kapitol in Havanna hat Renovierungsbedarf. In Havannas Altstadt, Diegmanns hauptsächlichem Einsatzgebiet, erinnert die zerfallende Bausubstanz zum Teil »an die Kulisse eines Tarkowski-Films« (Hans Christoph Buch). Die salzhaltige Meeresbrise, die die Häuserfassaden zerfrisst, macht Diegmanns Job zur besonderen Herausforderung. »Ich verkaufe keine Produkte, sondern Lösungen«, sagt er. Diegmann hält das Patent für einen speziellen Epoxidharzmörtel, der Fassaden besonders schützt. Auch verwende er schonende, natürliche Materialien ohne chemische Zusätze; die Struktur des Steines wird nicht beschädigt, er kann »atmen«, nimmt aber keine Feuchtigkeit mehr auf und hat so eine längere Lebensdauer.


Restauration Havanna

In der Kathedrale bleibt im Zuge der Renovierung keine Figur auf der anderen.


Am Kapitol mit seinen 30 000 Quadratmetern Außenfassade kann man das Ergebnis schon bewundern: Bereits die Hälfte des Gebäudes sieht aus wie neu. Es sei eine Ehre, diesem Gebäude eine »neue Haut« geben zu können, sagt Diegmann.

Das Kapitol ist dem Kongress in Washington sowie dem Petersdom in Rom nachempfunden. Im Jahr 1929, nach vierzehn Jahren Bauzeit, wurde es eingeweiht. »Es ist 1,20 Meter höher als das Washingtoner Kapitol und vier Meter breiter«, betont Diegmann, »und somit haben wir hier in Havanna nicht nur das größte, sondern auch das schönste Kapitol der Welt.«



Bis zum Triumph der Revolution 1959 war das Gebäude Sitz des damaligen Parlaments. Später waren in ihm Ministerien und andere Behörden untergebracht. Seit einigen Jahren ist der beeindruckende Kuppelbau nun aber geschlossen, weil er komplett von innen und außen restauriert wird. Bis 2018 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Nach der Fertigstellung wird dann die Asamblea Nacional, die kubanische Nationalversammlung, das Kapitol beziehen. Das Hauptportal und die monumentale Treppe sollen aber schon in den kommenden Monaten generalüberholt sein. Dann soll das Kapitol auch wieder für touristische Führungen geöffnet werden, so Diegmann. Dann können wohl auch die Restaurierungsarbeiten drinnen besichtigt werden.

»Es ist immer mein Traum gewesen, was am Kapitol zu machen«, sagt er. Mehr als ein Jahr lang hat er nach Lösungen gesucht. Während in Kuba oft mit Sandstrahl und Gasdampf gereinigt und später überstrichen werde, habe er eine Art »Peeling« aus Naturkautschuk entwickelt. Damit werde die Fassade »imprägniert«, 24 Stunden einwirken lassen und dann abgezogen. »Das bietet dann rund 80 Jahre Schutz«, sagt Diegmann. Eine Delegation aus Washington sei auch schon da gewesen, um sich auszutauschen.

Diegmann selbst ist als Technischer Berater bei der Oficina del Historiador de la Ciudad de La Habana, dem Büro des Stadthistorikers von Havanna angestellt. Geleitet wird dieses von Dr. Eusebio Leal Spengler, für Diegmann eine Art Vaterfigur. Diesem in vielerlei Hinsicht beeindruckenden Mann ist es zu einem nicht unerheblichen Teil zu verdanken, dass die Altstadt von Havanna, seit 1982 Weltkulturerbe, erhalten wurde und nun seit Jahren aufwendig restauriert wird. Seit den späten 1970ern laufen die Arbeiten: ein visionäres Unterfangen, vor allem angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und geringen Finanzmittel Kubas. Leal Spengler hat dabei der Versuchung widerstanden, Havannas Altstadt in einen historischen Themenpark zu verwandeln, in dem nur eine Simulation von Leben zu bestaunen ist. Das Beispiel Prag lässt grüßen. Gebannt ist die Gefahr angesichts in Scharen einfallender devisenträchtiger Touristen jedoch keineswegs. Noch aber finden sich neben Restaurants und Museen auch Schulen, Seniorenheime, Zentren für behinderte Kinder und die Werkstätten, in denen die Restauratoren ausgebildet werden, in den alten Kolonialgebäuden.

Auch Diegmann schult hier Kubaner im Umgang mit alten Materialen. Die Arbeiter, die ihm von der Oficina zur Verfügung gestellt werden, hat er zum Teil selbst ausgebildet. Aus Deutschland holt er nur ab und zu Fachkräfte heran. Er selbst lebt mittlerweile den Großteil des Jahres in Kuba. »Arbeiten in Kuba ist schon was Besonderes: Man muss viel improvisieren, der Arbeitsrhythmus ist ein anderer. Und es ist nicht immer einfach, die Leute bei Laune zu halten«, erzählt er. »Ich habe jedoch größten Respekt vor dem, was die Kubaner leisten, trotz der geringen Gehälter.« Davor müsse man den Hut ziehen.

An der Fassade der Kathedrale habe man beispielsweise sieben Wochen lang quasi rund um die Uhr gearbeitet, damit sie rechtzeitig zum Papstbesuch Ende September fertig würde. Die einstige Missionskirche der Jesuiten, mit ihrer Korallenkalkfassade und den beiden ungleichen Glockentürmen eine der schönsten Barockkirchen der Karibik, war seit ihrer Errichtung Mitte des 18. Jahrhunderts, »seit zweihundertfünfzig Jahren nicht mehr gereinigt worden. Da waren zentimeterdicke Krusten«, so Diegmann. »Am Altar haben wir eine Bronzeverzierung freigelegt, von der niemand wusste, dass die überhaupt existiert. Denn alles ist nur schwarz gewesen.«

Dass Diegmann heute die beiden wohl symbolträchtigsten Gebäude in Havannas Altstadt restauriert, verdankt er einer Reihe von Zufällen und günstigen Fügungen. Vor mehr als acht Jahren machte ein Vorarbeiter seiner Firma Urlaub auf Kuba. Dieser hatte Fotos von Restaurierungsarbeiten auf dem Computer, die wiederum ein Anwalt aus Matanzas zu Gesicht bekam und fragte, ob sie nicht Lust hätten, bei der Internationalen Handelsmesse, die jedes Jahr im November in Havanna stattfindet, dabei zu sein. Das war im Jahr 2007. Sie entscheiden sich kurzfristig zur Teilnahme. Untergebracht waren sie im Hotel »Santa Isabel« in Alt-Havanna, dem Vorzeigehotel der Oficina.

»Unser klitzekleiner Messestand war überlaufen«, erinnert sich Diegmann. »Der damalige deutsche Botschafter in Havanna, Claude Robert Ellner, tauchte am Stand auf und stellte viele Fragen.« Dessen Fazit: »Genau, was die hier brauchen.« Er lud Diegmann &. Co. zum abendlichen Empfang in die Botschaftsresidenz ein. Hier gab es dann den ersten Kontakt zu Leal Spengler.

Im Januar 2008 kehrte Diegmann für eine Probearbeit am Malecón, der sieben Kilometer langen Uferpromenade von Havanna, in die kubanische Hauptstadt zurück. »Da haben wir ganz praktisch gezeigt, was wir leisten können.« Sechs Monate später erfolgte der erste Auftrag. Die nächsten drei Jahre restaurierte Diegmann mit seiner Firma Teilstücke am Malecón, zudem die Fassade der Hemingway-Bar Bodeguita del Medio; andere Arbeiten führten ihn nach Santiago de Cuba im Osten der Insel. Dort, im Norden der gleichnamigen Provinz, im Landkreis Segundo Frente, sind die sterblichen Überreste von Vilma Espín, Raúl Castros im Jahr 2007 verstorbener Frau und Revolutionärin, im Mausoleum des Heldenfriedhofs Segundo Frente beigesetzt. Vilmas Grab - ein gewaltiger Granitstein - »war schwarz wie die Nacht«, so Diegmann. »Ich habe beschlossen, den mache ich als Dankeschön. Denn ich habe Kuba viel zu verdanken.«

Die Dokumentation der Restaurierung wiederum nahm Leal Spengler Ende 2013 mit in eine Ministerratskonferenz und übergab sie Raúl Castro. Dieser habe daraufhin die Sitzung beendet; später ließ er seinen Dank ausrichten. Danach ging es recht schnell. Diegmann erhielt - wohl auch als eine Art Vertrauensbeweis - den Auftrag für Kapitol und Kathedrale.

In drei Jahren - 2019 - wird Havanna 500 Jahre alt - bis dahin bleibt noch einiges zu tun für Diegmann.

Neues Deutschalnd

Andreas Knobloch, Havanna
Neues Deutschland, 06.01.2016