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Nachrichten aus und über Kuba


Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Das Embargo studieren

Für US-amerikanische Studenten ist Kuba ein lehrreicher Auslandsaufenthalt.

Wie US-amerikanische Studenten an die Universität nach Havanna kommen und dabei von Opfern zu Tätern werden. Oder umgekehrt.

Für US-amerikanische Staatsbürger ist es seit 1963 verboten, nach Kuba zu reisen. Etwa 80 000 tun es trotzdem - Jahr für Jahr. Schließlich ist der Flug von Miami nach Havanna kürzer als die Fahrt von dort nach Varadero. Ohne Furcht vor juristischen Konsequenzen dürfen lediglich besonders lizensierte Gruppen reisen. Dazu zählten seit der Amtszeit Bill Clintons (1992-2000) vor allem Universitäten, Künstler und religiöse Einrichtungen. Würde das Reiseverbot ganz fallen, so schätzen Tourismusexperten, wüchse die Zahl der derzeitig 2,3 Millionen Urlauber um das Doppelte. Gegenwärtig versuchen jedoch exilkubanische Kongressabgeordnete diese Reisegenehmigungen wieder einzukassieren. Nach Ansicht der Außenausschuss-Vorsitzenden Ileana Ros-Lehtinen darf es keine Reisen in »die brutale Castro-Diktatur geben, den erklärten Feind Amerikas« geben, denn, so die Republikanerin, jeder Dollar, der dort ausgegeben wird, »bereichert die Unterdrücker und verhindert die Transition zur Demokratie«.

Im September 2011 kamen jedoch wie jedes Jahr etwa 50 Studierende US-amerikanischer Colleges an die Universität von Havanna, um Spanisch, Geschichte, Literatur oder andere Fächer zu studieren. Sie wollen die Realität der Insel kennenlernen, die seit der Revolution Zielscheibe ihrer Regierung ist. »Es ist sehr schwer, in Amerika ein unverzerrtes Kuba-Bild zu bekommen. Deshalb wollte ich nach Havanna«, sagt beispielsweise Dan*, ein 19-jähriger Student eines New Yorker Privatcolleges. Nicole, 20, ist von Kuba begeistert, »weil sich die Kubaner entschieden haben, die Probleme auf ihre eigene Weise zu lösen, auch wenn das bedeutet, dass das mächtigste Land der Welt dagegen ist.« Sie verbringen ein Semester auf der Insel und lernen dabei viele neue Freunde kennen - Freundschaften, die dank E-Mail und Facebook auch andauern. Inzwischen verfügt nämlich die Uni Havanna über drahtloses Internet und Computerräume.

In ihrem Wohnheim, dem Gästehaus der Kleinbauernorganisation ANAP im Stadtteil Vedado, können sie abends zwar nur aus fünf statt 250 Programmen wie zu Hause wählen. Ricardo wundert sich allerdings über die einseitige staatliche Berichterstattung über sein Land: »Alle schlechte Nachrichten hört man sofort aber wo sind die Guten?«, fragt der junge Sozialwissenschaftler, der in Boston selber im Community-Radio arbeitet und an der Occupy-Bewegung beteiligt ist. Die Themen »Cuban Five« und Embargo meint er dank ständiger Wiederholungen bereits nach zwei Wochen auswendig zu kennen. »Glaubt denn da noch jemand dran?«, fragt er skeptisch.

Einen Monat später gab es kein Warmwasser mehr in seinem Wohnheim. Grund: Der Boiler stammt aus den USA und Kuba kann keine Ersatzteile kaufen. Gelöst wird das Problem kubanisch: Die Warmwasserleitung der oberen und unteren Etage werden zusammengelegt. Praktische Solidarität eben. Geplant ist die Umstellung auf Solarwärme. Dafür fehlt jedoch das Geld. Nun wollen Ricardo und Nicole prüfen, ob ihre Colleges dafür das Geld bereitstellen können. Als einen konkreten Schritt gegen das Embargo.

Der Autor promoviert zur Entwicklung des Bildungssystems in Kuba und hat in Havanna zuletzt ein Programm für US-amerikanische Studenten geleitet.

*Namen zum Teil geändert

Neues Deutschland
Rainer Schultz
Neues Deutschland, 07.02.2012