Ein Proyecto, das Träume wahr macht

Interview mit Julián Gutiérrez, Koordinator des Proyecto Tamara Bunke.

CL: Julián, Du bist an der CUJAE der Koordinator des Proyecto auf kubanischer Seite. Welches sind aus kubanischer Perspektive die wichtigsten Ziele, die das Proyecto Tamara Bunke verfolgt?

JG: Das Proyecto will den Freunden Kubas unsere Realität näherbringen und sie mit dieser einzigartigen Erfahrung in die Lage versetzen, besser für unsere Sache einzutreten. Das ist die erste Zielstellung des Proyectos.

Unsere Revolution steht vor der Herausforderung, ihre Jugend immer wieder aufs Neue gewinnen zu müssen. Die kubanische Jugend hat oft bewiesen, dass sie in der Lage ist, historische Situationen einzuschätzen und auf sie zu reagieren. Aber die heutigen Jugendlichen kennen die Revolution nur in ihrer Sonderperiode mit all ihren Entbehrungen. Möglicherweise sind sie deshalb empfänglicher für die Propaganda vom Scheitern des Sozialismus. Das Proyecto hilft uns dabei, ihnen einen realistischen Blick auf die Welt zu vermitteln, und zwar nicht aus dem Mund von uns Alten, sondern durch junge Menschen, die über die Probleme des Kapitalismus sprechen, in dem sie leben. Mit ihrer Ausdrucksform, ihrer Kultur und ihrer Mentalität finden die jungen Proyecto-Teilnehmer viel besser Gehör. Das ist die zweite Zielstellung des Proyecto.

CL: Was hat das Proyecto bis heute, fünf Jahre nach seiner Gründung, erreicht?

JG: Mit jeder Gruppe, die nach Kuba geht, erreichen wir etwas Neues, etwas, das die vorhergehenden Gruppen übersteigt. Die Bunkisten, die nach einiger Zeit wieder nach Kuba reisen, wundern sich darüber, was sich in der Zwischenzeit alles entwickelt hat. Dieser ständige Fortschritt ist an sich schon eine Errungenschaft.

Die zweite Errungenschaft ist, dass wir beobachten können, dass alle, die an dem Proyecto teilnehmen, unser Kuba anders verlassen, als sie es betreten haben. Sie gehen verändert, weiterentwickelt, tragen eine Spur unserer Revolution in sich. Wir Kubaner sind von einem System geprägt worden, in dem wir solidarisch miteinander umgehen und an humanistischen Werten orientiert sind. Wir teilen das, was wir besitzen. Das beeindruckt die Bunkisten und vermittelt ein anderes Lebensgefühl. Und es vermittelt ihnen Zuversicht, dass eine andere Welt möglich ist.

CL: Inwiefern ist die Zusammenarbeit mit der FG BRD-Kuba wichtig für das Proyecto?

Zunächst einmal, und ganz banal gesagt, haben wir mit der FG BRD-Kuba in Deutschland eine Partnerinstitution. In der ersten Zeit nach der Gründung des Proyecto arbeiteten Tobias Kriele und ich eine Zeitlang im luftleeren Raum, sozusagen, ohne einen Blick nach vorn und zurück. Dann wurde uns klar, dass wir das Proyecto institutionalisieren müssen, wenn wir sein großes Potential ausschöpfen wollen. Die SDAJ als Jugendorganisation erschien uns als der perfekte Partner, um jungen Menschen nicht nur zu vermitteln, dass eine andere Welt möglich ist, sondern auch mit ihnen darüber zu sprechen, auf welchem Wege man diese Welt erreichen kann.

JG: Ich bin von der Gültigkeit der Gesetze der Dialektik überzeugt, nd ich sehe es deshalb so, dass sich das Proyecto spiralförmig weiterentwickelt, mit Phasen der Abwärtsbewegung, aber einer aufstrebenden Tendenz. Außerdem habe ich die Eigenschaft, ein Träumer zu sein. Ich erträume mir etwas und tue dann alles dafür, dass dieser Traum Wirklichkeit wird. Und ich glaube, dass ich im Rahmen des Proyecto so manchen Traum verwirklichen konnte. Mir bleiben immer noch einige unverwirklichte Träume, aber ich habe keinen Zweifel, dass sie eines Tages Wirklichkeit werden.

CL: Kannst Du Beispiele nennen für Träume, die sich im Rahmen des Proyecto verwirklicht haben?

Die FG BRD-Kuba ist ein erfahrener Akteur in der Kuba-Solidarität mit einer aktiven, solidarischen Mitgliedschaft, die aber tendenziell – Entschuldigung, wenn ich das so sage – überaltert ist. Das Proyecto Tamara Bunke stellt für die FG eine Möglichkeit dar, die eigenen Reihen zu verjüngen und neue Impulse in die Organisation zu bringen.

CL: Wie schätzt Du das bislang im Rahmen des Proyecto Erreichte ein? Hat sich die Arbeit der letzten fünf Jahre gelohnt?

JG: Der wichtigste von allen war, einen Raum zu schaffen, an dem alle Bunkisten zusammen leben und arbeiten können. Dieser Traum hat uns Schweiß, Blut und Tränen gekostet. [lacht] Jetzt scheint es so, als hätten wir ihn in die Tat umsetzen können. Dieser Raum, die Casa Tamara Bunke, ist fundamental wichtig, um unter den Bunkistas ein Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen zu können, das auch die kooperierenden Kubanerinnen und Kubaner einbezieht. So können wir die Einheit schaffen, die unter denen, die die Welt verändern wollen, so wichtig ist und die es dem Gegner schwerer macht, uns zu vereinzeln. Diesen Raum erkämpft zu haben, ist für mich enorm wichtig.

CL: Und welche Träume sind noch unverwirklicht?

JG: Ich glaube, dass das PTB ein großes Potential hat, das wir bislang noch nicht ausgeschöpft haben, sowohl in Deutschland als auch in anderen Teilen der Welt, und natürlich in Kuba.

Was Kuba angeht, sollten wir weitere Universitäten in das Proyecto einbeziehen. Wir arbeiten bereits mit der Isla de la Juventud zusammen, punktuell auch mit Sancti Spiritus und Villa Clara. Ich denke, wir sollten unter den kubanischen Universitäten ein größeres Bewusstsein schaffen, wie wichtig dieses Proyecto sein kann. Daran müssen wir arbeiten.

Was Deutschland angeht, müssen wir unsere Anstrengungen vergrößern, um noch mehr Jugendliche nach Kuba zu bringen und ihnen die kubanische Realität zu zeigen. Darüber hinaus sollten wir, und das ist ein weiterer Traum von mir, das Proyecto in anderen Ländern verankern und erreichen, dass die jeweiligen Bewegungen das Proyecto auf ihre Wiese umsetzen und ebenfalls junge Menschen nach Kuba schicken.

CL: Du warst jetzt zwei Wochen auf Rundreise durch neuen deutsche Städte, hast Dich mit alten Bunkisten getroffen und solche kennengelernt, die es werden wollen? Wie ist Deine Einschätzung, hat es sich gelohnt?

JG: Zunächst einmal hat mir die Reise die Möglichkeit gegeben, vor vielen Menschen über die kubanische Wirklichkeit zu sprechen. Insgesamt waren bei den Veranstaltungen 214 Personen anwesend, vor allem junge Menschen, die sehr interessante Fragen gestellt haben, und ich hatte das Gefühl, dass sie mit meinen Antworten sehr zufrieden waren.

Das Wiedersehen mit den Bunkisten war für mich sehr bewegend. Die Herzlichkeit, mit der ich überall aufgenommen wurde, hat mich im Innersten berührt. Ich fühle mich sehr glücklich mit all der Arbeit, die wir in all den Jahren geleistet haben, trotz aller Anstrengungen, Kopfschmerzen und Schlaganfälle. [lacht] Wenn man diese Herzlichkeit sieht, dann kann man nur zufrieden sein.

CL: Du hast auch der BDK der FG die Ehre erwiesen, auf ihr anwesend zu sein und dort unsere Anerkennung für all das entgegenzunehmen, was Du in all den Jahren mit uns geleistet hast. Was hat es Dir bedeutet, an dieser Konferenz teilzunehmen?

JG: Die BDK hat mich sehr beeindruckt. Ich denke nicht, dass ich Euch eine Ehre erwiesen habe, sondern anders herum war es eine Ehre für mich, mich mit Menschen austauschen zu können, die seit so vielen Jahren für die Solidarität mit Kuba kämpfen. Wir in Kuba nehmen viele Entbehrungen hin und leisten einige Anstrengungen, weil von uns verlangt wird, dass wir stark sind und den Widrigkeiten trotzen. Zu wissen, dass es in der Welt Menschen gibt wie Euch, gibt uns Kraft.

Auf der anderen Seite war zu spüren, wie hoch die FG die Arbeit des Proyecto bewertet. Mir schien es, als wäre das Proyecto mittlerweile eine Art Fluchtpunkt der BDK gewesen. Für mich ist es eine Ehre und eine enorme Genugtuung, dass die Arbeit, die wir zusammen geleistet haben und leisten, auf diese Weise bewertet wird.

Zum Schluss möchte ich einen Gruß an die FG, aber auch an die Bunkisten, die SDAJ, ihre Brigadisten, die im Jahr 2013 den Grundstein für das Proyecto gelegt haben, senden. Wir alle haben viel möglich gemacht, und vor uns liegen große weitere Aufgaben. Es gibt so viele Träume, die noch auf ihre Verwirklichung warten. Gehen wir an die Arbeit.

CUBA LIBRE

CUBA LIBRE 4-2019